Arndt Kirchhoff, NRW-Unternehmerpräsident und Chef des Automobilzulieferers Kirchhoff, über Energie, notwendige Investitionen in die Infrastruktur des Landes und den Tarifstreit.
Herr Kirchhoff, gerade haben die Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie begonnen. Die Positionen liegen weit auseinander. Wie hart wird die Auseinandersetzung?
Sechs Prozent sind viel zu viel. Man muss hier auch mal die Kirche im Dorf lassen. Die Forderung, bestimmten Gruppen, die weniger arbeiten, auch noch mehr zu bezahlen, entbehrt jeder Logik. Das wäre ungerecht gegenüber den von vorneherein teilzeitbeschäftigten Kollegen, die diese Aufschläge nicht bekommen. Wir brauchen ein höheres Arbeitsvolumen, das den Bedarf der Betriebe berücksichtigt. Die Gewerkschaft denkt aber nur in der Kategorie Arbeitszeitverkürzung.
Am Anfang der Tarifrunde gehen natürlich immer beide Tarifpartner mit Maximalforderungen in die Gespräche. Sind all diese Rituale noch zeitgemäß?
Zeitgemäßer als alle Alternativen. Die Alternative wären staatliche Lohnfestsetzungen – wie in vielen anderen Ländern. Das ist die deutlich schlechtere Lösung. Es ist das beste System, wenn der Staat die Finger da rauslässt. Aber wir müssen erst das Geld verdienen, bevor wir es verteilen.
Was würde denn den Arbeitgebern mehr weh tun? Sechs Prozent mehr Lohn oder die Arbeitszeitverkürzung?
Wir werden ja über beides reden und versuchen eine Lösung zu finden, die für beide Seiten akzeptabel ist. Im Moment erschließt sich mir die Logik der Gewerkschaft aber nicht. Wir tun uns keinen Gefallen, wenn Löhne und Energiekosten hier so hoch sind, dass Unternehmen abwandern.
Womit wir beim Stichwort Politik wären. Wie sind Ihre Erwartungen an die Landesregierung?
Wir müssen endlich von den unteren Plätzen wegkommen. Wir können mehr. Die Rahmenbedingungen müssen wirtschaftsfreundlicher und unser Industriestandort gestärkt werden. Wir brauchen eine Landesregierung, die hier selbstbewusster vorwärts geht – auch in Berlin. In NRW läuft seit dem Regierungswechsel schon einiges besser. Gut finde ich, dass der Ministerpräsident zum Stichwort Kohle sagt: Das Wichtigste ist, dass meine Industrie immer Strom hat. Jede Sekunde. Er will nicht von Stromlieferungen aus dem Ausland abhängig sein. Stellen Sie sich mal vor, das Ausland entscheidet am Ende, ob unsere Industrie in NRW produzieren kann oder nicht? Wenn der Strom nur eine Sekunde ausfällt, stehen in meinem eigenen Betrieb sämtliche Roboter. Ich brauche eine ganze Schicht, um die wieder hochzufahren.
Dafür werden Sie sicher kommende Woche auch in Berlin plädieren?
Ja sicher. Wir als Industrie denken ja auch grüner als früher. Aber wir sagen auch: Dreht uns nicht den Saft ab. Wir brauchen ausreichende Reservekapazitäten. Nur wenn die Versorgungssicherheit absolut sichergestellt ist, können auch Kohlekraftwerke vom Netz. Aber nicht vorher.
Was fordern Sie noch?
Wir sind das stärkste Industrieland und das bevölkerungsreichste Bundesland. NRWs Interessen müssen in Berlin stärker vertreten werden. Gerade in Bezug auf die dringend notwendigen Verkehrsinfrastrukturprojekte. Das Geld darf nicht nur in den Osten fließen oder dank eines bayerischen Verkehrsministers in den Süden. Es muss auch nach NRW. Damit wir schneller werden im Straßenbau, damit wir smarter werden im Ruhrgebiet. Wir haben das größte Straßennetz, dass aber auch sehr reparaturbedürftig ist. Warum also sollte der nächste Bundesverkehrsminister nicht aus NRW kommen? Ein Wirtschaftsminister aus NRW wäre auch nicht schlecht.
Herr Pinkwart vielleicht?
Der soll mal lieber hierbleiben. Ihn brauchen wir in NRW.
Die Wirtschaft boomt, die Auftragsbücher der Industrie sind gut gefüllt. Machen Sie sich nicht Sorgen, wie lange das noch anhält?
Das ist natürlich sehr erfreulich. Der Arbeitsmarkt ist derzeit unsere einzige Bremse, denn uns gehen die Fachkräfte aus. Der Aufschwung darf kein Strohfeuer sein: Wir müssen zusehen, dass er anhält. Wir hatten in den vergangenen Jahren nicht gerade ein wirtschaftsfreundliches Klima in Deutschland. Im Vergleich zu anderen Ländern haben wir hier auch zu wenig Gründermentalität.
Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?
Die Infrastruktur muss deutlich ausgebaut werden, vor allem die digitale. Wir könnten es uns ja auch leisten. Aber Deutschland ist da sehr rückständig. Die Netze sind viel zu langsam. In Ballungsräumen sieht es vielleicht etwas besser aus, aber in vielen ländlichen Industriegebieten , etwa in Westfalen, ist die Netzsituation unterirdisch. Auch in meinem Zulieferbetrieb in Attendorn funktioniert es nur, weil wir viel selbst investiert haben und mit Richtfunk arbeiten.
In Ihrer Branche schreitet die Automatisierung fort. Die Digitalisierung treibt derzeit viele Unternehmen um. Sehen Sie Ihre Branche hier gut aufgestellt oder wurde da eine Entwicklung verschlafen?
Die Autoindustrie ist viel weiter digitalisiert als viele andere Branchen. Wir könnten gar nicht anders arbeiten als digital. Das entwickelt sich ganz automatisch: Jede neue Maschine, die ich kaufe, ist automatisch mehr digitalisiert als ihre Vorgängerin. Jede neue technische Entwicklung bringt aber natürlich auch Ängste mit sich. Viele Berufe verändern sich, manche werden nicht mehr gebraucht. Ich bin aber sicher, dass wir am Ende mehr Arbeitsplätze haben werden als jetzt. Es werden nur andere sein.
Derzeit arbeiten 700000 Mitarbeiter in der NRW Metall- und Elektrobranche. Wie viele werden es denn in zehn Jahren sein?
Wenn wir keine riesigen Fehler machen, werden wir nicht weniger Mitarbeiter haben. Aber 50 Prozent der Berufsbilder werden sich verändern. Wir brauchen immer weniger Menschen, die Maschinen bedienen. Wir brauchen aber mehr Menschen, die Maschinen entwickeln und steuern.
Man hat oft den Eindruck, dass die Zulieferer beim Thema Elektromobilität schon viel weiter sind als die Autohersteller, die hier lange gebremst haben und nach wie vor auf den Verbrennungsmotor setzen. Daimler-Chef Zetsche etwa spricht vom Renditekiller E-Auto.
Wir sind beide weit. Die Deutschen machen ein Prozent der Weltbevölkerung aus, stellen 20 Prozent der Autos her und haben 50 Prozent sämtlicher Patente in der Elektromobilität, beim autonomen Fahren 35 Prozent aller Patente. Aber solange der Markt noch nicht richtig läuft, dürfen Sie keine Produkte ins Schaufenster stellen. Die Produkte müssen dann fertig sein, wenn der Markt anzieht. Und das macht er jetzt langsam.
Wie wird sich die E-Mobilität in Deutschland nach Ihrer Einschätzung entwickeln?
Bis 2025 könnten E-Autos bei den Neuzulassungen auf einen Anteil 25 Prozent kommen – wenn der Preis stimmt. Ich würde mich freuen, wenn Autos auch mal billiger würden und nicht immer nur teurer. Mobilität für alle muss auch mal wieder preiswerter werden. Bis Ende 2017 werden wir 100 Elektromodelle in Deutschland haben. Kein anderes Land hat so ein großes Angebot.
Tesla macht Ihnen also keine Angst?
Nein. Die haben tolle Ideen. Aber bis sich das Thema Qualität und Zuverlässigkeit so einschleift – das ist noch ein langer Weg.
Haben deutsche Hersteller nicht zu lange auf Verbrennungsmotoren gesetzt? In Großbritannien gibt es dafür schon ein Ausstiegsdatum.
Das wird hier hoffentlich nicht kommen. Man sollte das Thema Elektromobilität auch mal ganzheitlich betrachten – gerade was das Thema Batterieentwicklung und Entsorgung anbelangt. Das kommt in der öffentlichen Debatte viel zu kurz. Viel besser als reine Elektrofahrzeuge ist aus meiner Sicht eine Kombination aus Batterien und Motoren oder Brennstoffzellen. Ich setze da mehr auf synthetische, CO2-freien Kraftstoffe. Da kann man gerne ein Energieeffizienz-Etikett dranhängen wie bei Waschmaschinen – Verbraucher sollen dann selbst entscheiden, was sie kaufen wollen.
Was für ein Auto fahren Sie eigentlich?
Benziner. Ich fahre Fahrzeuge aller Hersteller – immer mit der Marke unseres Kunden. Wenn ich in Köln unterwegs bin, dann mit einem Mondeo, für den wir Teile liefern.
Wie sehen Sie Kölns Chancen, zum E-Auto-Standort zu werden für Ford?
Gut. Der Standort hat sich sehr verbessert. Ich würde das Auto auch in Deutschland bauen. Wir haben das ganze Know-how hier. Das geht hier schneller und besser.
Autoren: Evelyn Binder und Carsten Fiedler
Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger - 18.11.2017