Tarifrunden ist in den vergangenen Jahren immer eines gemein: Die Tarifabschlüsse und damit auch die Arbeit der Arbeitgeberverbände stehen in unseren Mitgliedsunternehmen stets unter besonderer Beobachtung – auch deshalb, weil der Druck, der auf den Unternehmen unseres Industriezweigs lastet, mit den Jahren immer größer geworden ist. Der harte internationale Kosten-Wettbewerb, die tiefgreifenden Umwälzungen in vielen Branchen der Metall- und Elektroindustrie und obendrein seit 2018 die schwierige wirtschaftliche Lage lassen deshalb die Betriebe mit Argusaugen auf die Vereinbarungen schauen, die Metallarbeitgeberverbände und IG Metall miteinander verhandeln.
Und wenn die Ergebnisse in der Wahrnehmung der Unternehmer zu hoch, die Vereinbarungen zu komplex oder die tariflichen Regelungen zu starr sind, dann stellen sie – auch das ist eine Erfahrung aus den letzten Jahren – nicht selten ihre tarifgebundene Mitgliedschaft in ihrem Arbeitgeberverband auf den Prüfstand. Anders ausgedrückt: Der Flächentarif muss unseren Unternehmen in jeder Tarifrunde aufs Neue unter Beweis stellen, dass er tatsächlich die beste Alternative für die Regelung der Arbeitsbedingungen in den Betrieben ist.
Die Erwartungshaltung unserer Unternehmen ist daher hoch. Gewiss: Zwar schätzen die Firmen einerseits die (möglichst) langen Phasen des betrieblichen Friedens während der Laufzeit eines Tarifvertrages, die ihnen zugleich vergleichbare Wettbewerbsbedingungen innerhalb des gesamten Industriezweigs und damit Kalkulations- und Planungssicherheit verschaffen. Doch andererseits sorgen sie sich aber um ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit, wenn ihnen der flächentarifliche Ausgleich der Interessen zu teuer wird – und dies insbesondere in wirtschaftlich besonders herausfordernden Zeiten wie diesen.
In diesem Spannungsfeld steht auch die Tarifrunde 2021: Wir sind gefordert, einen echten Spagat hinzubekommen – wie schon im März 2020. Weil sich die wirtschaftliche Lage aktuell und auch die absehbaren Perspektiven betriebs- und branchenübergreifend nicht wirklich gedreht haben, hat dieser Tarifabschluss dem ruppigen Umfeld ebenso gerecht zu werden wie er den massiven Veränderungsdruck der Betriebe zu berücksichtigen hat. Der Flächentarif steht auch in diesem Jahr vor einer weiteren großen Bewährung.
Die IG Metall spricht zu recht – ebenso wie wir Arbeitgeber – von einer heterogenen wirtschaftlichen Lage in der deutschen Metall- und Elektroindustrie. Hierfür hat kluge Tarifpolitik eine tragfähige Lösung zu finden – sowohl für die Mehrzahl der Betriebe, die in einer tiefen Krise stecken als auch für jene, die gut durch die Pandemie kommen. Es ist eine komplexe Gemengelage, die in diesem Jahr nach einem differenzierenden Ansatz in der Tarifpolitik ruft.
Tarifabschlüsse haben oft auch einen Perspektiv-Charakter. Dazu gehören aktuell auch tarifliche Antworten auf die Umwälzungen, die Strukturwandel und Digitalisierung unseren Unternehmen aufbürden. Auch hier ist filigranes und nicht holzschnittartiges Vorgehen gefragt. Die Tarifparteien müssen diese Entwicklung begleiten, ohne in die Entscheidungsprozesse von Unternehmen regulierend einzugreifen. Gefordert ist ein tarifpolitischer Instrumentenkoffer, dem die Betriebsparteien das geeignete Besteck entnehmen können, um im Einzelfall auf die Herausforderungen des Wandels reagieren zu können.
So müssen wir in diesen Fällen vorhandene tarifliche Bremsen lösen, wenn ein Unternehmen mit der vollständigen Belegschaft in eine neue Zeit gehen will. Entscheidet sich etwa eine Firma für eine Vier-Tage-Woche, um den fünften Tag für Qualifizierung zu nutzen, kann das der richtige Weg sein. Doch was für den einen Betrieb gut ist, muss noch lange nicht für andere Unternehmen sinnvoll sein. Deshalb darf der Flächentarif Unternehmen nicht in Modelle zwingen. Der enorme Qualifizierungs- und Arbeitsbedarf ist auch kein Anlass für kürzere Arbeitszeiten, sondern bedarf des flexiblen Einsatzes vorhandener Kapazitäten. Hier bedarf es praxisnaher und verständlicher tariflicher Angebote, die in den Betrieben einfach umzusetzen sind.
Tarifrunden sind immer wieder ein Belastungstest für die Tragfähigkeit der Sozialpartnerschaft in unserem Land. Um der Zukunft des Flächentarifs und der Sozialen Marktwirtschaft willen ist es immer gut, wenn die Verhandelnden einander aufmerksam und neugierig zuhören. Aus meiner unternehmerischen Erfahrung weiß ich, dass Geschäftsleitungen kein Reservatrecht für gute Ideen haben. Der faire Austausch hilft immer, um den Ausgleich unterschiedlicher Interessen zu finden. Allerdings – und dafür müssen wir Arbeitgeberverbände stets eintreten – dürfen Unternehmer nicht durch tarifliche oder gesetzliche Reglementierung aus der Verantwortung gedrängt werden. Die Entscheidung über das weitere Vorgehen muss am Ende immer dem Unternehmer vorbehalten bleiben.
Der Gastbeitrag erschien erschien in der ersten Ausgabe 2021 der Verbandszeitung [unternehmen!] des Duisburger Unternehmerverbandes. Hier geht es zur Print-Ausgabe.