Sozialpartnerschaft: Was Arbeitgeber und Gewerkschaft gemeinsam erreichen können

Interview mit Arndt G. Kirchhoff, Präsident METALL NRW, und Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall NRW, mit der Wirtschaftszeitung Aktiv.

 

Hohe Energiepreise, Inflation, unsichere Zukunftsaussichten: Die Multi-Krise setzt Betrieben und Beschäftigten weiterhin zu. Da sind auch die Sozialpartner besonders gefordert. Worauf kommt es für sie jetzt an? Ein NRW-Spitzengespräch mit Arndt G. Kirchhoff, Präsident des Verbands der Metall- und Elektro- Industrie Nordrhein-Westfalen (METALL NRW), und Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall NRW.

Herr Kirchhoff, Herr Giesler, Deutschland ist wirtschaftlich unter Druck. Was kann die Tarifpolitik tun? 

Kirchhoff: Wir leben in ruppigen Zeiten. Wir erleben multiple Krisen, vieles ist fundamental im Wandel. In dieser Lage brauchen wir eine Tarifpolitik, die verlässlich ist und Unternehmen wie Beschäftigten Stabilität bietet. Sie muss dazu beitragen, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen möglichst gestärkt wird und den Sorgen unserer Beschäftigten Rechnung getragen wird. Ich finde, das ist uns in den letzten Tarifrunden gelungen – auch mit einem tarifpolitischen Instrumentenkasten, der mehr betriebliche Flexibilität ermöglicht.

Giesler: Gerade die letzten Jahre waren alles andere als einfach. Um mit den Krisen, die sich plötzlich auftaten, umgehen zu können, hat die Tarifpolitik Enormes geleistet: In der M+E-Tarifrunde 2020 beispielsweise wurden binnen weniger Tage Regelungen gefunden, die dem Corona-Einbruch Rechnung trugen und halfen, Arbeitsplätze zu halten.

Und beim Tarifabschluss 2022, im Zeichen des Angriffs auf die Ukraine, haben wir zusammen mit der Politik ein richtungsweisendes Gesamtpaket geschnürt. In unsicheren Zeiten schuf es Sicherheit für die Beschäftigten und Flexibilität für die Betriebe. Die Tarifpolitik hat immer wieder Antworten auf die drängenden Herausforderungen der Zeit gefunden. Das macht Mut für die Zukunft.

Kompromiss statt Konfrontation – das gilt auch weiterhin? 

Kirchhoff: Natürlich muss am Ende immer ein Kompromiss stehen. Aber: Der Flächentarif steht in jeder Tarifrunde unter intensiver Beobachtung unserer Mitglieder. Betrieblicher Frieden und eine möglichst lange Planungssicherheit sind wichtig. Aber tarifpolitische Vereinbarungen dürfen die Unternehmen materiell auch nicht überfordern. Sie wollen auch nicht einem permanenten Belastungstest ihrer Wettbewerbsfähigkeit ausgesetzt sein – womöglich auch noch flankiert mit massiven Warnstreiks. Wir müssen nah an den wirtschaftlichen Realitäten verhandeln. Oft ist uns das auch gelungen.

Giesler: Manchmal sind Streiks nötig, um zu Ergebnissen zu kommen. Aber es geht nicht ohne Kompromisse – selbst wenn beide Seiten dabei schon mal die Faust in der Tasche haben. Klar ist auch: Wir brauchen starke Verhandlungspartner. Von einem schwachen Tarifpartner mit geringer Gestaltungskraft haben wir nichts. Daher muss es für Unternehmen attraktiv sein, in einem Arbeitgeberverband zu sein. So wie es für Beschäftigte attraktiv sein muss, Mitglied einer Gewerkschaft zu sein.

Spielen Sie damit auch auf die Vier-Tage-Woche an? 

Giesler: Wir brauchen eine Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit in der Stahl-Industrie. Hier sind die Herausforderungen durch die Energiewende noch größer als etwa in der Automobil-Industrie. Aufgrund der ökologischen Transformation in der Stahl-Industrie wird langfristig ein Beschäftigungsabbau in der Branche stattfinden. Wenn Stahl mit Wasserstoff produziert wird, braucht es beispielsweise keine Kokereien mehr. Die Vier-Tage-Woche kann dann einen Beitrag dazu leisten, die Beschäftigungskapazität möglichst gesundheits- und familienförderlich zu verteilen, besondere Belastungen durch Schichtarbeit und überlange Arbeitszeiten abzubauen und damit Arbeitsplätze zu sichern. Daher: Weniger Arbeit bei vollem Lohn – mit dieser Forderung gehen wir in die Tarifverhandlungen der Stahl-Industrie in NRW. Sie beginnen im November.

Kirchhoff: Dass die Transformation in der Stahl-Industrie gelingt, steht in unser aller Interesse. Wichtig ist grundsätzlich, dass wir uns bei der Verteilung der Arbeitszeit immer an den betrieblichen Erfordernissen orientieren. Ob das Arbeitsvolumen dabei auf vier Tage verteilt werden kann, hängt allein vom Bedarf der Betriebe ab. Deshalb bin ich hier gegen pauschale Regelungen.

Eine Verknüpfung der Verteilungsfrage mit einer generellen Arbeitszeitverkürzung – und dann auch noch mit vollem Lohnausgleich – geht aber in die völlig falsche Richtung. Das wäre übrigens auch gesellschaftspolitisch das falsche Signal. Wir haben einen eklatanten Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel und ohnehin schon zu hohe Arbeitskosten. Machen wir uns klar: Die Arbeitszeit zu verkürzen und obendrein noch zu verteuern, wird den Verlagerungsdruck erhöhen und Arbeitsplätze gefährden. Außerdem: Unsere Betriebe brauchen deutlich mehr Flexibilität, deshalb müssen die starren Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes aufgebrochen werden.

 

Das Interview ist am 12.6.2023 in der Wirtschaftszeitung Aktiv erschienen:

https://www.aktiv-online.de/news/sozialpartnerschaft-was-arbeitgeber-und-gewerkschaft-gemeinsam-erreichen-koennen-17567 

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